Zusammenfassung Masterclass Madrid

Anneli Cattelan
Am 2. und 3.5.18 fand in Madrid die erste Masterclass für Patientenorganisationen statt. Duchenne Schweiz war als Teilnehmer dabei.
Folgende Berichterstattung ist ein persönlicher Bericht, und wir versuchen so gut wie möglich, die Inhalte der Veranstaltung wieder zu geben.

An dieser Masterclass ging es nicht darum, über aktuelle klinische Studien zu informieren, sondern darum zu erfahren, wie diverse internationale Duchenne Organisationen weltweit den medizinischen und nichtmedizinischen Alltag mit Duchenne mitgestalten und begleiten. Die Organisation des Anlasses erfolgt von Treat-NMD und PPO, dank der Finanzierung durch PTC.

Geleitet wurde die Veranstaltung von Filippo Bucella, (Parent Projekt Onolus PPO, Vater eines Sohnes mit DMD) sowie Annamieke Aartsma-Rus, hochengagierte Forscherin für DMD und Pat Furlong (PPMD, Head of World Duchenne Organisation(WDO), Mutter eines Sohnes mit Duchenne). WDO ist das neue Branding von UPPMD. Der Name wurde geändert, da UPPMD von der Aussprache zu lange war und immer wieder zu nachfragen führte.
Sie sind auf finanzielle Unterstützung von Firmen angewiesen und kommunizieren dies auch öffentlich. Denn schliesslich wollen sie erreichen, dass die Forschung nicht aufhört nach einer Lösung von Duchenne zu suchen und das geht nur mit Geld und viel viel Networking.

Annamieke, gibt als erstes einen kurzen Überblick über Treat-NMD. Bei Treat-NMD können Organisationen und Privatpersonen sich als Mitglied anmelden.

Treat-NMD ist ein grosser Zusammenschluss von Patientenorganisationen deren Ziel es ist weltweit Informationen über Duchenne aber auch andere Muskelerkrankungen zusammenzutragen, ggfs. zu übersetzen und weiter zu geben.
Es erfolgt ein kurzweiliger sehr klar bildlich gestalteter Abriss der Ursache von Duchenne und der derzeit möglichen Therapieformen. Entsprechende Informationen hierzu können direkt hier abgerufen werden.
Die immer aktiven Studien können unter folgendem Link nach unterschiedlichen Filtermöglichkeiten abgerufen werden.

Ein nächster grosser Informationsblock kam aus der Sicht des betroffenen Vaters Filippo.
Die Diagnose Duchenne verändert das Leben aller, nicht nur der Familie, sondern auch der Verwandtschaft und der Freunde. Er beschreibt daher Duchenne nicht als ein Einzelschicksal, sondern als Familienschicksal.
Die medizinische Versorgung ist das eine, doch da kommen noch viele Fragen auf die Familien zu. Unter anderem:

  • Wie erkläre ich es meinem Sohn und allen anderen?
  • Müssen wir umziehen, weil unsere bisherige Wohnung nicht umgebaut werden kann?
  • Ist ein Umzug in die Nähe der Eltern oder Verwandtschaft sinnvoll, um Unterstützung bekommen zu können?
  • Wie sieht es in der Schule aus? Ist sie rollstuhlgängig, macht sie bei der Integrativen Beschulung mit?
  • Welches Auto werden wir künftig fahren müssen – obwohl wir unser jetziges Auto eigentlich gerne behalten würden??
  • Was ist mit unseren anderen Kindern? Gehen sie in dem Alltag unter? Welche Begleitung benötigen Sie?

Das sind alles Themen die uns im Verlauf der Krankheit beschäftigen, daher auch der Begriff Familienschicksal und nicht Einzelschicksal.
So ist es auch extrem wichtig, dass es unsere Patientenorganisationen gibt. Wir versuchen unser Möglichstes, den Eltern und Angehörigen die nötige Unterstützung zu geben. Sei es, dass Sie Informationen abrufen können, sei es, dass sie von Elterncoaching profitieren oder sei es, dass Sie mit Fragen auf uns zukommen können.

Selbstverständlich sind die Themen von Magen-Darmmanagement, Atmung und Herz ein Dauerthema bei Duchenne mit Kortison Einnahme.
Auf jeden Fall sollte von Anfang an auf gesunde Ernährung wert gelegt werden, und versucht werden, auf allzu grosses Übergewicht zu verzichten. Gesunde wertstoffreiche Ernährung tragen ihren positiven Teil dazu bei nicht allzu viel Gewicht zuzulegen.
Als positives Ergebnis der letzten Jahre wird festgestellt, dass der Umgang im Kortison Management sich stark verbessert hat, die Stärke der Skoliose etwas rückläufig ist.
Unklar ist noch der Zeitpunkt wann mit der Steroidgabe gestartet werden sollte. Momentan wird ab einem Alter von 4 Jahren gesprochen.
Erfahrungswerte im Umgang mit der Gabe von Wachstumshormonen und gleichzeitig Steroiden stehen noch aus.

Schläft der Sohn in der Nacht zu unruhig, schwitzt oder ist am Morgen eher unausgeschlafen? Treten Alpträume oder immer wieder Kopfschmerzen auf? Dann sollte eine Polysomnographie Klarheit bringen, ob eine Atemunterstützung in der Nacht Besserung der Symptome bringen kann.
Es könnte sein, dass die Atmungsaktivität flacher ist und daher die ausreichende Versorgung mit Sauerstoff nicht gegeben ist.
Weiterer Vorteil der Polysomnographie ist, dass es ein Anfangsbild gibt und bei der jährlichen Wiederholung der Verlauf optimal beobachtet werden kann, damit eine Reaktion zeitnah möglich ist.

Die Herzmuskelaktivität soll auch unter regelmässiger Beobachtung des Cardiologen sein, um rechtzeitig auf Veränderungen reagieren zu können.

Doch auch die psychosozialen Aspekte von Duchenne auf unsere Söhne sind nicht zu unterschätzen.
Auf der einen Seite steht die Frage der unbedingt notwendigen Unterstützung im Alltag. Auf der anderen Seite stehen die Möglichkeiten der Jungen. Was sind ihre Stärken, wie können wir das unterstützen?
Manchmal ist es auch sinnvoll die Söhne mit gewisser Vehemenz aus ihrem gemütlichen Zimmer raus zu schicken, um dieses oder jenes zu unternehmen.
Der Umgang zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung kann sehr belastend sein, daher sollen die Eltern nicht zögern psychologische Unterstützung für sich und auch für ihren Sohn zu suchen.

Auch Begleiterscheinungen zu dem Krankheitsbild (ADHS, Lese- und Schreibschwäche, Asperger, etc, etc. sind nicht selten und sollten mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit angegangen werden)

Der Übergang von der Versorgung im Kinderspital in das Erwachsenenleben ist mit vielen Wechseln verbunden. Je besser die sog. Transition durch das Ärzteteam in Zusammenarbeit mit Eltern und Betroffenen, umso klarer und reibungsloser erfolgt dieser Übergang.
Es soll nicht vorkommen, dass die Familien nach Jahren intensivster ärztlicher Betreuung plötzlich alleine gelassen werden und sich alleine neue orientieren müssen. In diesem Bereich sehen wir als Patientenorganisation eine Möglichkeit der Begleitung.

Mehrfach wurde an dieser Masterclass für Patientenorganisationen darauf hingewiesen, dass sehr sehr viel Geld in die Erforschung von Duchenne fliesst, auch EU-Gelder und Gelder der FDA,  dass viele Behandlungsansätze verfolgt werden, aber bisher kein Behandlungsansatz den Status eines Medikamentes hat.
Alle Studien die gemacht werden, sind Studien im sicheren Experimentstatus, aber die Chancen stehen 50/50, ob sie weiterverfolgt werden oder nicht.
Mäuse die positiv auf etwas reagieren sind nach wie vor Tiere und trotz ähnlichem Organismus keine Menschen.
Dies wurde immer wieder betont. Mag vielleicht bitter klingen, ist aber nicht mehr als ehrlich, und als solches haben dies die Teilnehmer auch aufgenommen.

Auf Treat-NMD ist auch die Duchenne-Guideline in verschiedenen Landessprachen übersetzt abrufbar. Link
Derzeit ist der Guideline zusätzlich noch in Überarbeitung in eine familienfreundliche Guideline. Die erste englische Version ist in den nächsten Monaten zu erwarten.

Marina di Marco von NHS (Schottland www.nhs.net), eine sehr erfahrene Physiotherapeutin bei Duchenne Jungen zeigt eindrücklich, was im täglichen Alltag an Bewegung einfliessen kann, ohne dass diese sofort als Physiotherapie benannt werden muss. Für die Jungen kann es Freude bedeuten zu zeigen, wie er sich bewegen kann. Wir müssen sie darin bestätigen, wie gut sie das machen, nicht was nicht oder nicht mehr geht.
Im Anfangsstadium, und auch zwischendrin, ist der Test der Beweglichkeit mit dem sog. North Star Assessement sehr gut abzurufen. So können anhand verschiedenster Positionen und Techniken im Punktesystem bewertet werden, in welchem Mass die Beweglichkeit vorhanden ist.
Videos verschiedener Physioübungen seht ihr hier hier: und auf YouTube im Kanal von National Network Management Service (Link).
In der Physiotherapie gibt es verschiedene Bewegungsmöglichkeiten:
Active Stretching: Der Junge macht irgendetwas selbst (z.b. über eine Matte laufen, sich am Boden rollen oder dem Krankheitsverlauf angepasste Aktivitäten.
Passiv Stretching: macht der Junge so viel wie er selbst kann, dann hilft der Therapeut und hält die Position einen Moment stabil.
Progressiv stretch: Der Therapeut geht so weit wie möglich, wartet einen Moment und versucht es dann nochmals.

Grosse Beachtung sollte neben der Streckung der Beine und Sehnen auch vermehrt die Arm und Fingerfunktion geschenkt. Kann der Junge infolge verkrümmter Hände sein Handy oder seine Spielkonsole nicht mehr bedienen, ist das ein Verlust der dort möglichen Unabhängigkeit. Daher empfiehlt die umtriebige Schottin, den Focus darauf nicht zu vergessen.
Beim Trampolinspringen ist der Bewegungsablauf von Anspannung und Entspannung sehr explosiv – daher nicht sehr empfohlen, da diese Bewegung grossen Stress für die Muskulatur bedeutet.

In der Phase wo Bewegung noch möglich ist, sollen wir die Söhne fördern so gut es geht. Schwimmen, Velofahren, eher langsamere Bewegungen sind gut geeignet. Spart Energie. Nehmt den Rollstuhl mit, der Sohn kann sich einen Moment setzen und dann wieder weiterlaufen.  Er soll entscheiden können, wie lange er was machen mag.

Das Stehmanagement, Sitzmanagement (rechtwinklige Sitzposition), Nachtsupport, und die Förderung der Symmetrie an allen Gliedmassen waren ebenso noch interessante Themen. Das Ziel von uns als Patientenorganisation wird sein, die Physiotherapeuten vermehrt auf Schulungsangebote hinzuweisen oder sie zu Schulungen einzuladen.
Denn Bewegung, egal in welchem Krankheitsstadium, ist von enormer Wichtigkeit.
Alle Eltern sind eingeladen, uns ihre Erfahrungen bzgl. Physiotherapie mit zu teilen.

Als Fazit dieser intensiven sehr interessanten Tagung halten wir fest, dass wir Eltern organisiert in Patientengruppen grosses bewirken können.
Gemeinsam und immer wieder sollen wir uns zu Wort melden und versuchen Einfluss zu nehmen – egal zu welchen Themen.
Genauso wie es nicht den EINEN Weg zur Behandlung von Duchenne gibt, reicht es nicht EINMAL tätig zu werden, sondern immer und immer wieder. Denn «steter Tropfen höhlt den Stein»
Wenn wir uns alle vernetzen und jeder einen kleinen Teil in der Aufgabenerfüllung übernimmt, dann ergibt dies ein gewichtiges Projekt mit entsprechendem Auftreten.

Duchenne-Schweiz – für die Zukunft unserer Söhne.

Verfasst von Dominik Jegen

Veröffentlicht am Mai 10, 2018

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